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Biografie
Aquaman

Lasse Wasser ein. Der metallene Wasserhahn voll aufgedreht. Das Wasser fliesst.

Lauwarmes Wasser. Dann warm. Dann heiss.

Ein Strudel aus unzähligen Luftbläschen.

Im grellen Licht der LED-Röhre wirkt das Wasser in der Badewanne bläulich. Nur eine Anspielung von Blau. Mit einem Hauch Grün vielleicht. Frage mich, woher die Farbe kommt. In der weissen Wanne mit der durchsichtigen Flüssigkeit.

Noch immer läuft Wasser ein. Das Wasser steigt. An der emaillierten Oberfläche hoch, die einmal schneeweiss war.

Das heisst gestern. Vorgestern. Vorvorgestern.

      Neustart.

Steige in die Badewanne. Das rechte Bein zuerst. Es ist warm, nein, heiss. Ziehe das Bein wieder heraus. Schüttle die heissen Tropfen ab. Das Bein ist rot. Der Wasserstand ablesbar an der rotweissen Grenze. Eine Linie gleich oberhalb der Wade.

Da muss noch mehr Wasser rein. Drehe den Griff nach links.

Warmes Wasser. Dann lauwarm. Dann kalt.

Knipse das Licht aus. Zünde die Kerze an.

Das Badezimmer, eingehüllt in einem feuchtwarmen Nebel. Wie in einem Dschungel, in Südostasien oder dem Amazonas vielleicht. Ein Dschungel zwischen bleichen Keramikfliesen. Überzogen von feinen Tropfen aus kondensiertem Wasser. Ich war noch nie im Dschungel. In Südostasien oder im Amazonas. Überall tanzen kleinste Wassermoleküle. Mein Spiegelbild versteckt hinter feinem Wasserdampf. Ich verschwinde hinter einer unendlichen Masse an Feuchtigkeit. Ich kneife die Augen zusammen, kann mich nicht erkennen. Ein Fremder in meinem Badezimmer.

      Unsichtbar sein.

Stehe vor der Wanne. Nackt. Mit einem weissen und einem roten Bein. Trocken und nass. Schaue in das blaugrüne Wasser mit winzigen Luftbläschen, die nervös nach oben streben.

Schaue zur Uhr auf der Ablage. Vier Ziffern. Wenn ich lange genug drauf schaue, ändert sich die letzte. Manchmal auch die vorletzte. Ich nehme die Uhr und stelle sie vor die Tür. Sperre die Zeit aus dem Raum.

      Stillstand.

Das Bein fühlt sich jetzt kühler an. Spüre die Wärme mit dem Dampf wegziehen. Einzelne Härchen stehen wieder auf. Wie schnell das doch geht. Von heiss zu kalt. Feucht zu trocken. Sorglosigkeit zu Einsamkeit. Gänsehaut überzieht meinen Körper. Das Bein ist noch immer rot.

      Vorfreude.

Die Wanne wird voller.

Randvoll.

Übervoll.

Das Wasser kriecht über den weissen Rand. Auch über die nicht mehr weisse Stelle, auf die die Duschbrause gefallen war. Jetzt ist da ein schwarzes Oval umringt von heller Emaille. Ein Makel, wie bei mir.

      Erinnerungen.

Schaue auf die Narbe über dem Knie, auf dem trockenen Bein. Mein Wegzoll auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Frage mich, wann ich im Erwachsensein angekommen bin. Wann ich aufgehört habe, Kind zu sein. Ob man je aufhören kann, Kind zu sein. Ob man je sollte.

      Ballast loswerden.

Jetzt fehlt da ein Stück weisser Wannenrand. Ich fahre mit den Fingern darüber. Fühle den Schrecken, höre den dumpfen Aufprall von Metall auf Badewannenrand, sehe weisse Splitter am Boden. Höre mein Schreien, das ohne Echo verhallt.

      Sich fallen lassen.

Noch immer läuft das Wasser.

Setze mich auf den Rand. Lasse mich hineinfallen. Spüre, wie das heisse Nass jede trockene Hautfläche benetzt. Spüre, wie mein Körper das Wasser zur Seite und nach oben drückt. Kleine Wellen lassen das Wasser über den Wannenrand mit dem fehlenden Stück Emaille schwappen.

      Verdrängung.

Vom Wasser. Und anderem.

Der Boden bedeckt mit dampfendem Badewasser. Das Licht der Kerze, jetzt flackernd, brennt noch immer. Frage mich, wann der dichter werdende Nebel die Flamme verschlingt. Wann das Draussen dem Drinnen zu viel wird.

Noch tanzt sie über die Oberfläche der Bodenfliesen. Kopiert ein vorübergehendes Abbild von sich selbst auf das Wasser. Lebhaft, aber nicht von Dauer.

Frage mich, ob das Wasser Spuren hinterlassen wird. Im Holzparkett im Gang, draussen vor der Türe. Bei den Nachbarn unter mir, die meinen Namen nicht kennen. Es ablesbar sein wird. Überdauert. Wie das Stück fehlender Badewannenrand. Wie die Narbe auf meinem Knie.

Morgen. Und übermorgen. Und überübermorgen.

Fühle mich leicht.

      Schwerelosigkeit.

Hier ist es wohlig. Hier ist es gut.

      Geborgenheit.

Will das Wasser um mich spüren. Das noch immer in die Wanne fliesst.

Drehe den Griff nach rechts.

Lauwarmes Wasser. Dann warm. Dann heiss.

Tauche den Kopf unter. Kleine Blasen steigen auf. Öffne die Augen. Sehe verschwommen, nicht klar. Hier wie dort. Ein wässriger Vorhang. Nur noch entfernte Erinnerung an das Draussen. Dort, wo die Zeit weiterläuft. Dort, wo nur noch ein schemenhafter Umriss von mir erkennbar ist. Wo ich im warmen Dunst auseinanderfalle. Lautlos und unbemerkt.

Umgeben vom warmen blaugrünen Badewasser, das von hier aus gesehen wieder durchsichtig scheint. Die blaugrüne Farbe eine Illusion.

      Trugbild.

In der Ferne gedämpft das fortlaufende Sprudeln vom einfliessenden Wasser, das leichte Gurgeln unter dem spröden Stöpsel, das leise Plätschern auf Keramikfliesen.

Alles ist unscharf. Alles ist dumpf. Alles umschliesst.

Verschmelze mit dem warmen, durchsichtigen H2O.

Möchte so bleiben.

Bis morgen. Und übermorgen. Und überübermorgen.

      Zwischenraum.

Halte den Atem an.

      Zeitlosigkeit.

Halte. Halte. Halte.

      Superkraft.

Halte. Halte. 

      Superheld.

Halte. 

© Raphael Schweighauser 2025

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